Kapitel 16: Ernährung und Vitamine

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Nitrat, Gesundheit und Sport

Nitrat und Nitrit werden im Buch nicht besprochen. Dieser Kommentar füllt die Lücke.

KOMMENTAR


Gepökelte Fleisch- und Wurstwaren enthalten Nitrat (NO3) und Nitrit (NO2); zusammen mit weiteren Pökelstoffen machen sie diese Nahrungsmittel haltbar (antibakterielle Wirkung) und verleihen ihnen die erwünschte rote Farbe. Viel Nitrat nehmen wir ausserdem mit Blattgemüsen und Randen auf, vor allem nach starker Düngung und wenn die Ernte bei bedecktem Himmel oder im Gewächshaus erfolgt (Sonnenlicht stimuliert die Photosynthese, die Pflanze baut den Stickstoff des Nitrats in Proteine ein).

Wenn Nitrit mit sekundären Aminen reagiert, entstehen Nitrosamine die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein. Und da Nitrat im Körper zu Nitrit reduziert werden kann (s. unten), sah man bisher hohe Nitrat- und Nitritikonzentrationen als besorgniserregend an. Obwohl, das sei hier festgehalten, harte Beweise für ihre Schädlichkeit fehlen.

Die relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur der Gefässe kommt so zustande:

  1. In den glatten Muskelzellen der Gefässe stimuliert NO die Guanylatcyklase (GTP ⟶ cGMP = cyklisches GMP).
  2. cGMP aktiviert die cGMP-abhängige Proteinkinase.
  3. Diese Kinase phosphoryliert und aktiviert die MLC-Phosphatase (MLC = Myosin light chain).
  4. Die Phosphatase dephosphoryliert MLC ⟶ Relaxation.

Im Gegensatz zu seinen stärker oxidierten Verwandten erfreut sich der dritte im Bunde der N-O-Verbindungen, Stickoxid (NO), eines hervorragenden Rufs: NO senkt den Blutdruck (Vasodilatation), hemmt die Thrombocyten-Aggregation, wirkt entzündungshemmend usw. Umgekehrt ist die NO-Produktion bei Insulinresistenz (Insulin stimuliert die NO-Synthase), beim metabolischen Syndrom, bei Atherosklerose etc. reduziert. NO entsteht, wie auf Seite 86 beschrieben, katalysiert durch NO-Synthasen aus Arginin (Abb. 6.7).

NO ist ein kurzlebiges Gas. Nach nur wenigen Millisekunden wird es zu NO2 und dann weiter zu NO3 oxidiert. Diese Umwandlungen benötigen, wie auch die NO-Synthese aus Arginin, Sauerstoff und werden deshalb in gut durchblutetem Gewebe begünstigt. Der umgekehrte Weg – von NO3 über NO2 zu NO – ist aber auch möglich. (Diese reduktiven Schritte (von rechts nach links) bevorzugen eine hypoxische Umgebung!):

NO3    ⇄    NO2    ⇄    NO

Die Interkonvertierbarkeit der N-O-Verbindungen legt die Vermutung nahe, dass Nitrat und Nitrit aus der Nahrung ebenfalls zur Entstehung von NO beitragen und sich vielleicht positiv auswirken könnten. Diese These liess sich bestätigen.

Mit der Nahrung aufgenommenes Nitrat nimmt – zum grössten Teil – folgenden Weg: einmal geschluckt, wird es im Dünndarm resorbiert und … mit dem Urin ausgeschieden (65 - 75%). Immerhin, die Parotis absorbiert 20 - 25%, die dann mit dem Speichel in die Mundhöhle gelangen. Dort, im hinteren Bereich der Zunge, reduzieren anaerobe Bakterien Nitrat zu Nitrit, das seinerseits geschluckt und resorbiert wird. Im Organismus schliesslich können verschiedene Enzyme, zu welchen auch die Xanthin-Oxidase gehört, unter hypoxischen Bedingungen Nitrit zu NO reduzieren.

Auswirkungen auf die Gesundheit

Nitrat und Nitrit aus der Nahrung können also zu NO reduziert werden. Aber hat das auch positive Auswirkungen? Folgendes wurde an Menschen und/oder Versuchstieren festgestellt, wobei Nitrat respektive Nitrit als Salz, oft auch als Randensaft (enthält besonders viel Nitrat) oder, seltener, als Blattgemüse (Ruccola! Spinat ist auch nicht schlecht) verabreicht wurde:

  • Vasodilatation und Senkung des Blutdrucks. Eine Blutdrucksenkung wurde nur bei Hypertonie beobachtet.
  • Dilatation der Pulmonargefässe und Reduzierung eines Pulmonarhochdrucks.
  • Reduzierung einer Intima-Hyperplasie.
  • Reduzierung der Reperfusionsschäden nach Ischämie.
  • Hemmung der Thrombocyten-Aggregation.
  • Verbesserung der Glucoseaufnahme durch GLUT4 bei Diabetes Typ II.

Es handelt sich bei dieser Liste um eine Auswahl. Aber die Resultate haben manche Kommentatoren dazu gebracht, die positiven Auswirkungen von Blattgemüse, die man in Korrelationsstudien oft beobachtet, mit deren Nitratgehalt (und nicht wie bisher mit Vitaminen oder Antioxidantien) zu erklären.

Nitrat und Sport

Randen sind gesund, das wissen schon die kleinen Kinder – was rot ist und scheusslich schmeckt muss schliesslich gesund sein! Aber in den letzten Jahren sind auch (Hobby-)Sportler, Velofahrer und Ausdauerläufer, auf Randensaft abgefahren. Der Grund: er soll die Leistung steigern. Das Erstaunliche: es scheint, im Gegensatz zu den meisten derartigen Hypes und Fads, etwas daran zu sein, und das hat mit dem hohen Nitratgehalt der Randen zu tun. Um das zu verstehen, brauchen wir die Biochemie.

Zunächst einmal spielt die Vasodilatation und die dadurch verbesserte Sauerstoffversorgung im Skelettmuskel eine Rolle. Das aus Nitrat gebildete Nitrit (s. oben) wird im eher hypoxischen Milieu des arbeitenden Muskels besonders effizient zu NO reduziert.

Zweitens haben Untersuchungen gezeigt, dass der Sauerstoffverbrauch bei gleichbleibender Leistung niedriger ist, d.h. der aerobe Metabolismus wird effizienter, und das P/O-Verhältnis steigt (pro Sauerstoffatom wird mehr ATP gebildet, s. Seite 66). In den Lehrbüchern steht, pro NADH entstünden 3 und pro FADH2 2 ATPs. Aber wie auf Seite 66 erklärt, handelt es sich dabei um Annäherungen, da in real existierenden Mitochondrien ein variabler Prozentsatz der gepumpten Protonen nicht durch die ATP-Synthase fliesst, sondern entweder für andere Zwecke (z.B. Transport) verwendet wird oder ganz einfach durch "Lecks" von aussen nach innen schlüpft. Uncoupling Proteine (UCPs) und die ATP-ADP-Translocase (ANT) lassen Protonen passieren, ohne dass sie dabei "nützliche" Arbeit verrichten, und Proton slippage wurde an verschiedenen Komplexen der Atmungskette festgestellt. Hier kommt der Randensaft ins Spiel: NO vermindert die Expression der ANT und möglicherweise auch des UCP3. Das verbessert die Kopplung zwischen Protonen-Gradient und ATP-Synthase und damit das P/O-Verhältnis und den Sauerstoffverbrauch bei konstanter Leistung. (Das heisst nicht, dass Entkoppler sinnlos oder gar schädlich sind: ein zu steiler H+-Gradient begünstigt die Bildung von ROS (Reactive Oxygen Species), UCPs schwächen ihn ab; s.S. 69).

Wirkt Randensaft (oder Nitrat) in der Praxis? In der Tabelle sind ein paar positive Resultate zusammengestellt, wobei verschiedene Kontrollen zur Anwendung kamen: Entfernung von Nitrat aus dem Saft, der für die Placebo-Gruppe bestimmt war oder Ausspucken des Speichels (dadurch wird der Kreislauf Nitrat ⟶ Organismus ⟶ Speichel ⟶ Nitrit ⟶ Organismus ⟶ NO unterbrochen).

Tabelle 1 Modifiziert aus Larsen et al., 2012
Nitrate source Type of exercise Placebo Nitrate Verbesserung
Beetroot juice, 6 days Cycling 9:43 11:15 15.8%
Beetroot juice, 6 days Knee extension 9:46 12:14 25%
Beetroot juice, 2 days Arm and leg cycling 8:44 9:23 7.5%
Sodium nitrate, 1 dose Cycling 6:49 6:56 1.7%
Beetroot juice, 6 days Running 7:36 8:42 15%
Beetroot juice, 1 dose Cycling (time trial) 27:42 26:54 2.7%
Beetroot, 6 days Cycling (time trial) 16:05 15:53 1%

Die "Placebo" und "Nitrat" Spalten zeigen entweder die Zeit bis zur Erschöpfung (in Minuten) oder die Zeit für eine bestimmte Distanz (Zeitfahren). Die vollständige Tabelle finden Sie in Larsen et al. 2012.

LITERATUR
Zwei Reviews:

Ein Cell Paper:

BUCH


Weitere Stellen, auf die sich der nebenstehende Kommentar bezieht:

  • Kapitel 6, Seite 82, Abb. 6.7
  • Kapitel 5, Seite 66
  • Seite 60, Abb. 5.1
  • Seite 69, Abb. 5.7

nos.jpg

Abb. 6.7: NO-Synthase

Kapitel 5, Seite 66:
Das P/O-Verhältnis gibt die Anzahl ATP an, die pro 2 Elektronen (d.h. pro ½O2) synthetisiert werden, …

oxphos.jpg

Abb. 5.1: Atmungskette

oxphos_ros.jpg

Abb. 5.7: Atmungskette und ROS

Author: Jörg Hagmann

Email: hagmann at repetitorium-biochemie.ch

Created: 2016-02-09 Tue 10:09

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